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Wege aus der Einsamkeit - wie du dich verorten kannst, wenn du dich verloren fühlst

Solveig Jacobs

Edward Hopper gilt als Künstler der Einsamkeit. Auch wenn viele Maler, Songwriter, Filmemacher sich dem Thema in unterschiedlichen Facetten gewidmet haben, verkörpern Hoppers Bilder „isolierte Menschen“ und „Einsamkeit“ in unnachahmlicher Klarheit. Häuser haben keine Türen, an den Tankstellen gibt es keine Autos, Menschen und Szenen wirken abgekapselt. Trotz teilweise kräftiger Farben liegt über den Bildern Schwermut und Kühle, sie wirken stumm und still. Sie zeigen eine innere und äußere Welt der Protagonisten. Worte braucht es dafür nicht. "If you could say it in words, there would be no reason to paint“. So ist es wohl mit der Einsamkeit. Sie in Worten auszusprechen fällt nicht nur schwer, sondern scheint das Gefühl der Isolation noch zu verstärken. Warum ist das so?





Heimlich einsam - aus Scham und Schuld


Das vermeintliche Bild von Einsamkeit wird verbunden mit Traurigkeit, Zurückgezogenheit, Verschlossenheit. Jemand, der alleine da steht, wird schnell mitleidig betrachtet, obwohl Alleinsein nicht zwangsläufig bedeutet, auch einsam zu sein. Einsamkeit hat viele Gesichter und ist nicht immer von außen erkennbar. Sie kann lachend, quirlig, (übertrieben) fröhlich, unsortiert, vorsichtig, misstrauisch und unleidlich daherkommen. Keiner der Menschen in meinem täglichen Umfeld hätte mich damals als einsamen Menschen beschrieben. Ich war umgeben von Freunden, spielte Tennis, war am Wochenende ausgiebig tanzen und ständig unter Menschen. Es gab wunderbare Momente, in denen wir zusammen lachten und Spaß hatten.


Und doch erlebte ich als Teenager einige meiner einsamsten Phasen und das stechende Gefühl, mit meiner Traurigkeit und Einsamkeit allein zu sein. Es war ein Schmerz, der mich innerlich auffraß. Meine Gefühle hätte ich aus Scheu, Scham oder mangelnden Worten anderen gegenüber aber nicht ausgesprochen. Ich glaubte, die Einzige zu sein, die so fühlte und dass mich keiner verstehen würde. Stattdessen tat ich das, was Wieteke van Zeil in ihrem Buch „Sieh mehr!“ beschreibt mit den Worten „Ich watete durch Aktivitäten, als ob ich strampeln müsste, um nicht im Gefühl der Einsamkeit zu ertrinken.“ Meine einzige Entlastung war mein Tagebuch, in das ich alle Zweifel und Gefühle der Unzulänglichkeit schrieb. Dadurch fühlte ich mich weniger allein.



 „You can be lonely anywhere, but there is a particular flavour to the loneliness that comes from living in a city, surrounded by millions of people. (…) mere physical proximity is not enough to dispel a sense of internal isolation.“ (aus: The Lonely City, Olivia Lang)


Heute, insbesondere infolge der Corona-Pandemie haben viele Medien und Initiativen breit gestreut über Einsamkeit berichtet, eigentlich dürfte keiner an dem Thema vorbei gekommen sein. Mit dem Wissen, dass jede vierte Person in Deutschland sich laut Deutschland-Barometer Depression 2023 sehr einsam fühlt und alte sowie junge Menschen gleichermaßen betroffen sind, dürfte keiner mehr Hemmungen haben, sich "zu outen" und offen über seine Gefühle zu sprechen.


Doch nach wie vor bleiben Menschen mit ihrem Schmerz eher alleine als sich in ihrer Bedürftigkeit zu zeigen. "Nicht dazu zu gehören“ tut weh und sozial gut eingebunden zu sein, ist hoch angesehen. Das haben wir früh gelernt. Mit dem Gefühl der Einsamkeit gehen tiefe Scham und Verletzbarkeit einher. Oft kommt noch das Gefühl hinzu, selbst Schuld zu sein an diesem Zustand. Was dann entstehen kann, ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Es kommt zu einer verzerrten Wahrnehmung, soziale Situationen werden zunehmend als bedrohlich wahrgenommen, in der Folge werden soziale Situationen vermieden. Dauert dieser Zustand länger als zwei Jahre an, spricht man von chronischer Einsamkeit, in der sich Menschen immer weiter abkapseln und sozial isolieren.




So entsteht der Teufelskreis aus Gedanken und Verhalten:

Negatives Selbstbild → Negative Gedanken („Ich vertraue Menschen nicht“, „Menschen mögen mich nicht“, „Sie werden mich nie mögen“, „Deshalb mag ich keine Menschen“, „Da bleib ich lieber allein“) →  Rückzug Verschlimmerung






Im Kern geht es darum, sich verbunden zu fühlen


Das Gefühl von Einsamkeit lässt sich nicht wegdenken oder umpolen, es existiert nun mal.

Hilfreich ist aber zu verstehen, dass Einsamkeit gleichzeitig ein Bedürfnis ausdrückt. Das Bedürfnis, uns als soziale Wesen mit anderen verbunden zu fühlen. Wir möchten Beziehungen erleben zu Menschen, von denen wir uns gesehen fühlen und von denen wir verstanden werden. Das gibt unserem Leben eine Sinnhaftigkeit.


Wie wir Verbundenheit fühlen und erleben, hängt von unserer Persönlichkeit sowie unserer kulturellen und familiären Prägung ab. Egal ob wir einen ruhigen Spaziergang und intensive Gespräche mit einer einzigen Person oder eine Party mit vielen Menschen vorziehen: wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich meine inneren Bedürfnisse mit anderen teile, fühle ich mich verbunden.


Werden aber meine Wünsche und Sehnsüchte nicht erfüllt und ich habe das Gefüh, dort, wo ich bin, „irgendwie nicht reinzupassen“ fühle ich mich isoliert und spüre die Trauer des Getrenntseins.







Wie sieht deine persönliche Facette der Einsamkeit aus?


Auch wenn es zunächst nach "Schubladen" klingt, kann es helfen, den Begriff „Einsamkeit“ differenzierter zu betrachten und von anderen ähnlichen Phänomenen abzugrenzen. Dadurch gelingt es dir möglicherweise besser, deine persönliche Situation einzusortieren und bewusst anzugehen.


Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE), das sich mit den Ursachen, Erlebensweisen und Folgen von Einsamkeit auseinandersetzt, unterscheidet die drei wissenschaftlichen Definitionen:


  1. Existentielle Einsamkeit: eine unerträgliche Leere, Traurigkeit und Sehnsucht, die aus der grundsätzlichen Entfremdung von anderen Menschen und dem Leben an sich kommt.

  2. Einsamkeit als Folge unerfüllter sozialer Bedürfnisse: basiert auf der Grundannahme, dass das Grundbedürfnis von Menschen nach sozialen Bindungen zu anderen ein psychologisches Grundbedürfnis ist, weil sie am besten in der Gruppe überlebten. Bleibt dieses unbefriedigt, wird es als negativ und schmerzhaft wahrgenommen.

  3. Einsamkeit als unerfüllte soziale Erwartungen: bezieht sich auf das Netzwerk von sozialen Beziehungen einer Person. Die Einsamkeit entsteht dann, wenn dieses Netzwerk als mangelhaft wahrgenommen wird, d.h. wenn die tatsächlichen Beziehungen nicht den gewünschten Beziehungen entsprechen.


Entsprechend der Beziehungsformen und Lebensbereiche lässt sich weiter unterscheiden:


  • Emotionale Einsamkeit, d.h. wir fühlen zu wenig emotionale Unterstützung und vermissen jemanden, der unsere Gefühle oder emotionalen Bedürfnisse versteht oder erfüllt.


  • Soziale Einsamkeit, d.h. wir fühlen uns ausgeschlossen oder abgeschnitten von sozialen Gruppen. Wir wünschen uns mehr Kontakt und Interaktion mit unseren Mitmenschen.

  • Kollektive Einsamkeit, d.h. das Gefühl, sich nicht zugehörig oder fehl am Platz zu fühlen zu einer größeren Gruppe, Gemeinschaft, Gesellschaft oder Nation.

  • Technologische Einsamkeit, die sich mit der fortschreitenden Digitalisierung entwickeln kann, indem ein Mangel an echten, persönlichen Aktionen fehlt.



 

Nur was uns bewusst ist, können wir verändern.

Reflexions-Gedanke


Überlege auf Basis der dargestellten Facetten von Einsamkeit, in welcher Beziehung und in welchen Situationen du dich einsam fühlst.


Hier ein paar Beispiele von Menschen, die sich auf unterschiedliche Art und aus unterschiedlichen Gründen "einsam" fühlen.:


  • eine glücklich verheiratete Person wünscht sich mehr Freunde, mit denen sie unterschiedliche Dinge unternehmen kann

  • eine Person mit vielen Bekanntschaften trägt einen unerfüllten Wunsch nach einer besonders engen, vertrauensvollen Beziehung hegen, mit der sie Themen in der Tiefe besprechen kann

  • eine Person, die real und digital gut vernetzt ist, hat Whats App Nachrichten anfänglich als Stärken der Freundschaft empfunden, vermisst jetzt Real-Life Kontakt

  • eine Person, die zuhause ruhig und zufrieden ist, denkt in Situationen am Arbeitsplatz, dass "sie nicht dazu gehört“ oder „außen vor“ ist, zuweilen fühlt sie sich gemobbt

 

Ähnliche Symptome, aber nicht das gleiche - Depression und soziale Phobie


Einsamkeit ist keine psychische Erkrankung und es gibt keine allgemein akzeptierten Diagnosekriterien. Einsamkeit kann aber sowohl ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen als auch die Folge davon sein.


Einige Merkmale von Einsamkeit treten auch bei bestimmten psychischen Störungen auf. So könnten Gefühlszustände wie Traurigkeit, Depression oder Leere auch Symptome einer depressiven Episode sein. Auf der Ebene der Symptome sind Einsamkeit und Depression aber nicht dasselbe. Der für Einsamkeit entscheidende Faktor – die Diskrepanz zwischen gewünschten und bestehenden sozialen Beziehungen – spielt bei der Diagnose depressiver Störungen keine Rolle. Menschen können sich sehr einsam fühlen und darunter leiden, ohne die Diagnosekriterien einer Depression zu erfüllen. Umgekehrt können Menschen unter depressiven Störungen leiden, ohne sich einsam zu fühlen.


Einsamkeit hat auch Gemeinsamkeiten mit sozialer Phobie. Soziale Phobie ist eine ausgeprägte Furcht vor sozialen Situationen, in denen man negativ von anderen bewertet werden könnte und die daher vermieden werden. Die Vermeidung sozialer Situationen ist eine Verhaltensweise, die auch bei chronisch einsamen Menschen beobachtet wird. Trotzdem handelt es sich um unterschiedliche Phänomene: Ein zentrales Merkmal von Einsamkeit ist eine Unzufriedenheit mit der Qualität und Anzahl der bestehenden sozialen Beziehungen, was bei der sozialen Phobie keine Rolle spielt. Umgekehrt ist das zentrale Merkmal der sozialen Phobie die ausgeprägte Angst vor der negativen Beurteilung durch andere Menschen. Einsame Menschen empfinden diese Situationen nicht unbedingt als angenehm, erleben sie aber nicht zwangsläufig als furchteinflößend.



Das Gute im Schlechten: Einsamkeit ist ein Weckruf


Wenn wir Einsamkeit als Grundbedürfnis verstehen, dann hat die Nicht-Erfüllung dieses Grundbedürfnisses einen starken Aufforderungscharakter. Einsamkeitsgefühle sind, genau wie Schmerz oder Hunger, ein Alarmsignal, das darauf hinweist, dass es etwas nicht stimmt und Menschen motiviert, den negativen Zustand aktiv und schnellstmöglich zu beenden.


Beispielsweise hat jugendliche Einsamkeit einen wichtigen entwicklungspsychologischen Sinn: Der emotionale Bezugspunkt der Eltern muss wegbrechen, damit ein Jugendlicher sich von zu Hause löst und neue wichtige Beziehungen außerhalb seines Elternhauses sucht. Für eine Person, die situationsbedingt unter Einsamkeit leidet, weil sie die Partnerin / den Partner durch Tod oder Trennung verloren hat, tut gut daran, sich nach gewisser Zeit wieder stärker Freunden, Bekannten und der Familie zuzuwenden.



"Einsamkeit ist eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt." (Alfredo Le Mont)





Was du tun kannst?


Die gute Nachricht ist: sich einsam zu fühlen bedeutet nicht, machtlos zu sein! Du hast es in der Hand und kannst Einfluss nehmen: Stück für Stück, Schritt für Schritt, in deinem ganz eigenen Tempo.



1. Gefühl der Einsamkeit annehmen

Mach dir bewusst, dass Einsamkeit kein unüberwindbares Schicksal ist, sondern ein ganz normales Gefühl, das zum Leben dazu gehört. Dass sich Einsamkeit dabei unendlich schmerzvoll anfühlt, hat einen Grund. Wie eine Farbe, die eine Nuance zu grell ist oder ein Ton, der zu schrill klingt, bedeutet das eindringliche Signal von Einsamkeit, dass es Zeit ist, dich zu kümmern: um dich, um deine Bedürfnisse, deine Beziehungen zu anderen, deine Ideen.


Nimm es als Gefühl an. Und: nur, weil du dich im Moment einsam fühlst, bedeutet es nicht, dass du für immer einsam bleiben wirst.

 


2. Verurteile dich nicht für das Gefühl

 

Solltest du dir gerade die Schuld dafür geben wollen, dass du dich in die Situation gebracht hast, in der du dich so einsam fühlst, dann streich diesen Gedanken bitte sofort wieder.  Der strafende Gedanke, „selbst Schuld zu sein“ und sich schämen zu müssen ist wenig hilfreich. Sei dir gewiss: du tust in jedem Moment immer das, was dir als das Beste erschien. Deswegen sei nachsichtig mit dir. Es gibt keinen Grund dafür, dich selber fertig zu machen.

 


3. Lerne, dich selbst mehr anzunehmen

… und wenn es dir irgendwie möglich ist, ein kleines bisschen liebenswert zu finden. In dem Maße, in dem du dich selbst magst, werden deine Einsamkeitsgefühle abnehmen. Das lässt sich nicht von heute auf morgen herbeizaubern. Dieser Weg erfordert Ausdauer und stetige Übung. Geh ihn in deinem Tempo.

Wenn du eine kleine Anleitung zur Unterstützung erhalten möchtest, schreib mir hier.

Zu einer gesunden Selbstannahme gehört auch, dass du gut für dich sorgst, indem du ausreichend isst, schläfst, dich bewegst und es dir wert bist, Wohlfühl-Situationen zu schaffen.



4. Du bist in deiner Einsamkeit nicht alleine

Mach dir bewusst, dass es anderen genauso geht wie dir. Du bist nicht der einzige Mensch, der sich einsam fühlt. Das macht die Lage weder besser noch schlechter. Aber vielleicht schafft es ein erstes Gefühl von mentaler Verbundenheit.

 


5. Innere Bestandsaufnahme

Schaff dir einen geschützten, ruhigen Raum, in dem du dich selbst fragst: Wo genau fehlt mir Verbundenheit? Was genau fehlt? Was hat sich verändert, im Außen, in meiner Einstellung, in meinen Werten? Weshalb fühle ich mich nicht zugehörig? Wen oder was würde ich mir mehr in meinem Leben wünschen?


Wenn du das Gefühl hast, dass dir eine Reflexion nur mit dir allein schwierig ist, melde dich bei mir. Wir schauen gemeinsam auf dein Thema und finden heraus, was du brauchtst, um in den Kontakt gehen zu können und Verbundenheit spüren zu können. 

 

  

6. Raus aus der Opferrolle – rein ins Handeln

Je nachdem, welche Wünsche für Veränderungen du in Schritt 5 identifiziert hast, kannst du jetzt konkrete Aktivitäten festlegen. Du brauchst die Hürde gar nicht hochzulegen. Schaffe dir kleine Projekte und setze sie um. Das steigert Stück für Stück dein Gefühl von Selbstsicherheit und Selbstwert.


Nimm Kontakt zu anderen auf. Wenn du weißt, dass dir ein ausführliches Gespräch mit einer vertrauten Person guttun würde, ruf sie an. Wenn du das Gefühl hast zu vereinsamen, weil du nur wenige Menschen kennst, mit denen du etwas unternehmen kannst, wäre vielleicht ein neues Hobby oder eine ehrenamtliche Tätigkeit etwas für dich. Wenn ein Anruf dir schwerfällt, schreibst du vielleicht erstmal eine E-Mail. Wichtig ist, dass du ins Handeln kommst. Und stell an deine Umwelt keine allzu hohen Erwartungen. Auch wenn du dir wünscht, mit nur einer vertrauten Person alles teilen zu können: Gedanken, Gefühle, Aktivitäten. Ein einzelner Mensch braucht und wird nicht alle Bedürfnisse erfüllen. Alles hat seine Qualität und bietet die Möglichkeit, Verbindung zu schaffen.


Vielleicht musst du dich überwinden, um den ersten Schritt zu gehen. Das Losgehen ist das Wichtige!

  




Wenn du das Gefühl hast, dass deine Einsamkeit überwältigend ist und dich stark belastet, scheue dich nicht davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Melde dich bei mir und wir schauen gemeinsam auf dein Thema. Woran liegt es, dass du nicht in den Kontakt gehen kannst? Ich helfe dir dabei, Wege zu finden, mit deinen Gefühlen umzugehen und Einsamkeit zu überwinden. 




Mein Dank für das zur Verfügung stellen der Fotos geht an: Cameron Readius, Markus Spiske, Maria Orlova, cottonbro studio und die Mental Health America (MHA).

 
 
 

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